Re: [stvrkr-a-fotos] Wettbewerb: hässlichste Tramway der Welt

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Liebe Nahverkehrsfreunde, lieber Gerald,

Gerald Svetelsky schrieb:

>> Die Würzburger "Schuhschachtel", auf die Gerald verwies: Hmmmm,
>> ok, ein bisserl zum Extrem geführt, dieses Prinzip ;-) Aber wer
>> "Eurotram!" (mit ihrer fesselnden, aber dennoch gekünstelten
>> Kugelrundungen) sagt, der darf guten Gewissens auch "Würzburg!" sagen.
>>
>> So. Jetzt hab' ich mich wieder ausgetobt ;-)
>
>Meinst d' das wirklich ernst?

Jein... Einerseits hab' ich natürlich -- dem Thema entsprechend --
ein wenig polemisiert. Geschmack ist kaum objektivierbar. Monty
Pythons gefällt oder wird gehasst ;-) Die Eurotram ist ein
extremer Typ. Einer, der die Blicke auf sich zieht. Aber auch
einer, der einige patscherte Aspekte aufweist, die eine Tram nicht
aufweisen soll, eben weil sie ein Gebrauchsgegenstand ist, noch
dazu einer für die Allgemeinheit. Die unlesbare Zielanzeige --
hier wurde eine elektronische Anzeige durch Rollbänder ersetzt,
damit's zumindest durch die Farbe *halbwegs* erkennbar wird, auf
welcher Linie der Wagen fährt, was bei dem wachsenden Straßburger
Netz auf einmal (wie überraschend!) an Bedeutung gewinnt. Die,
ähem, nicht besonders gelungenen Türen. Die mangelnden Festhalte-
Möglichkeiten im Wagen. Wer das für gut hält, darf auch Würzburgs
Schuhschachtel für gut halten.

Aber andererseits...

>Eine Straßenbahn muss nicht nur zweckmäßig sein. Schließlich ist sie im
>Stadtbild allgegenwärtig, und zwar über Jahrzehnte, und soll daher auch
>das Auge erfreuen.

... bin ich ein Verfechter des Prinzips "form follows function".

Eine Straßenbahn ist kein Statuetterl, das man sich daheim auf den
frischpolierten Konzertflügel stellt. Sie hat einen Zweck zu
erfüllen. Andererseits ist's das Ärgste -- und da sind wir uns wohl
einig --, wenn ein konsequentes Design verwässert wird, und sei es
auch nur durch Details. Was der ORF aus dem Brody-Design machte,
ist, ähem, nicht sehr nett.

Ein wesentliches Problem sehe ich darin, dass die gegenwärtig mit
den Entwürfen betrauten Designer offenbar nicht sonderlich viel
Ahnung haben, was die Funktionalitätsvorgaben einer Straßenbahn
sind. Konsequenz daraus ist, dass entweder ein genial designter
Typ herauskommt, der unter ganz wesentlichen Fehlern leidet
(Eurotram) oder das Design im Nachhinein dadurch verpfuscht wird,
dass es so an die funktionellen Anforderungen angepasst wird, dass
es nimma mit den Designergrundgedanken verträglich ist. Darüber
kommt derzeit das krampfhafte Verlangen nach *100%* nieder(st)flur.
Teilniederflur reicht doch auch, und ist wohl viel einfacher zu
bauen -- und gestalten!

Ich sehe nun einmal eine Straßenbahn durch die Brille dessen,
zu welchem Zwecke sie gebaut wurde. Das ist ein wesentlicher
Bestandteil ihrer Ästhetik. Und so gesehen ist mir ein Design,
das von Anfang an auch die funktionellen Aspekte berücksichtigt,
allemal lieber als die beiden im vorigen Absatz genannten.

Vielleicht *das* Prachtbeispiel, wo Gestalter und Techniker von
Anfang an miteinander geredet haben, ist der klassische PCC-Wagen,
von dem hier unlängst die Rede war. Das Post-War-Design in
europäisch-schmälerer Ausführung, wie es insbesondere in Den Haag
und bei der SNCV zu finden war, ist darunter wieder wohl das
gelungenste. Siehe hiezu http://www.haagsetrams.com/pcc/11/1187.jpg
und http://www.haagsetrams.com/pcc/pccdag2001/pcc-06.jpg
Wenn man bedenkt, dass dieses Design in den frühen 1930ern
entworfen wurde...

Unter modernen Wagen gefallen mir unter anderem die Den Haager
Gelenkwagen besonders gut, die Form und Funktion sehr fein vereinen:
http://www.haagsetrams.com/lijn7/sw2.jpg

>Kurz gesagt: Sie soll zum Stadtbild passen, was in Wien seit der
>Anfangszeit und sogar mit dem ULF einigermaßen gelang.

... wobei mir das ursprüngliche Design, das nur im Probeträger
existierte -- das mit den geraden Seitenwänden -- um etliches
besser gefiel. Warum hat man das so sehr geändert?

>Was es ausmacht, ob "boxy" schön oder hässlich ist, sind Details, wie
>Anzahl und Form, Breite und Höhe der Fenster und der Türen sowie deren
>Einteilung.

D'accord. Aber ich kann von Anfang an auf gerade Formen setzen --
oder auch nicht. Mir kommen viele Entwürfe vor, als ob sie unter
folgenden Gedanken entstanden: (Achtung, Polemik ;-)
"So, jetzt werf ma einmal das CAD-Programm an. Boah, kann das aber
tolle Rundungen zeichnen. Aber die Werkstoffe... Heh, die neuen
vertragen das ja auch. Ok, Kurverl hier, Kurverl da, tralala!"

Natürlich läuft es in der Praxis nicht so ab, ich weiß schon. Aber
lass mich mich auf ein Terrain begeben, auf dem ich sicherer bin:
Typographie. Bloß weil ich eine CD mit 5000 Schriften gekauft
habe, muss ich sie nicht alle einsetzen. Schon gar nicht zugleich.
Ganz im Gegenteil, perfekte Typographie zeichnet sich durch
Sparsamkeit im Stil aus, durch gezielt eingesetzte Akzente. Beim
Straßenbahndesign hab' ich aber *ein wenig* das Gefühl, dass
partout alles eingesetzt werden muss, was moderne Technik an
Formgebung erlaubt.

>Eines der wichtigesten Kriterien ist nach wie vor der "Goldene Schnitt".
>Dies bedeutet die Einteilung nach der 1/3-2/3-Regel.

Eher 2/5-3/5 ;-) Aber egal. Im wesentlichen geb ich Dir recht.
Jedenfalls auch hier: Der Goldene Schnitt mag prinzipiell eine
gute Idee sein, aber auch er darf nicht Mittel zum Zweck sein, oder?

Ein endloses Thema...

Liebe Grüße,
Wolfgang

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